Bei der Behandlung schwerkranker Patienten können Ärzte unter bestimmten Voraussetzungen auch zu nicht anerkannten alternativen Methoden greifen – und die Kassen müssen dennoch dafür zahlen. Nach einem jüngeren Beschluss des Bundesverfassungsgerichts muss die gesetzliche Kasse für die Behandlung aufkommen, wenn sie begründete Hoffnung auf Linderung bietet und die Schulmedizin keine Therapiemöglichkeit bereithält.

Verfassungsrichter fällen Grundsatzurteil.

Damit gaben die Karlsruher Richter einer Verfassungsbeschwerde eines heute 18-Jährigen statt. Er leidet an einer Duchenne-Muskeldystrophie, einem selten und nur bei Männern auftretenden Abbau des Muskelgewebes. Die Patienten sterben meist vor ihrem zwanzigsten Geburtstag. In der Schulmedizin gibt es keine Therapie, die den Krankheitsverlauf langfristig bremsen oder den Patienten gar heilen könnte. Daher wurde der Junge schon als Achtjähriger mit einer Kombination alternativer Heilmethoden behandelt, darunter homöopathische Arzneimittel, Thymuspeptide, Zytoplasma, sowie die Bioresonanztherapie mit hochfrequenten Schwingungen.

Für die Behandlung bezahlten die Eltern in zwei Jahren umgerechnet 5.100 Euro. Die Kasse lehnte eine Erstattung ab, weil der Erfolg der Methode wissenschaftlich nicht belegt sei. Das Bundessozialgericht (BSG) schloss im Jahr 1997 die Kostenübernahme für alternative Heilmethoden durch die gesetzlichen Kassen zwar nicht generell aus. Im konkreten Fall lehnte sie dies aber ab, weil die Methode nicht ausreichend verbreitet sei. Ein Erfolg im Einzelfall reiche nicht aus.

Begründung: Grundrecht auf Leben

Nun musste sich das BSG erneut mit dem Fall befassen. Dessen Urteil sei „mit der grundgesetzlich garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit, dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht auf Leben nicht vereinbar“, urteilten die Verfassungsrichter. Zur Begründung betonten sie, dass die gesetzliche Krankenversicherung eine Pflichtversicherung sei. In der Nicht-Erstattung und der Ablehnung der Behandlung sahen die Richter einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Leben.

Denn der Staat sichert seinen Bürgern die notwendige Krankheitsbehandlung gesetzlich zu. Gerade bei einer schweren und lebensbedrohlichen Krankheit dürften die Versicherten daher nicht im Stich gelassen werden. Habe die Schulmedizin den Betroffenen keine Therapieoption zu bieten, müsse die Kasse ihnen auch alternative Methoden anbieten, wenn es „ernsthafte Hinweise auf eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auch nur eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall gibt“.

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, Az.: 1 BvR 347/98.