Unter dem abscopalen Effekt (Lateinisch „ab“ = nicht, fern von und Altgriechisch „skopös“ = Ziel, Zweck) versteht man die Tumormassenreduktion. In der Regel ist damit die Rückbildung von Metastasen bei Behandlung anderer Tumoranteile durch Bestrahlung oder Hyperthermie gemeint.

Der Abscopal-Effekt wurde erstmals 1953 von Mole beschrieben.[note]Vgl. Literatur 1[/note] Der genaue Wirkmechanismus ist nicht bekannt. Man vermutet, dass die lokale Behandlung eine systemische immunologi­sche Reaktion des Körpers gegen den Tumor triggert.[note]Vgl. Literatur 2[/note] p53 gilt dabei als wichtiger Mediator für diesen Effekt.[note]Vgl. Literatur 3[/note]

Krebsbehandlung durch Hyperthermie

Die Hyperthermie kann einen Tumor abtöten, und zwar im Organ oder Gewebe, wel­ches er befallen hat. Die Hyperthermie schädigt dabei das gesunde, den Tumor umgebende Gewebe nicht. Im Gegenteil stimuliert sie es sogar, sodass es sich regenerieren kann. Es ermöglicht somit dem Immunsy­stem, das abgestorbene Tumorgewebe als fremd zu erkennen und eine aktiv spezifische Immunre­aktion (ASI) auszulösen. Da das Immunsystem sodann über entsprechende aktivierte Lymphozyten verfügt, kann es offensichtlich auch Metastasen in entfernt liegenden Geweben als fremd erkennen und bekämpfen. Dies zeigt sich sodann klinisch in einer Rückbildung der Metastase, obwohl diese nicht direkt be­handelt wurde. Je kleiner die Tumorlast ist, umso größer sind die Chancen für das Immunsystem, das rest­liche Tumorgewebe zu erkennen und zu zerstören, besonders wenn in dieser Phase eine gezielte Immuntherapie unterstützend wirkt.

Der Abscopal-Effekt wurde für verschiedene Tumorentitäten, z. B. Melanom[note]Vgl. Literatur 4-7[/note], multiples Myelom[note]Vgl. Literatur 8[/note], hepatozelluläres Karzinom, Ösophaguskarzinom, Lungenkarzinom (Adenokarzinom), me­dulläres Schilddrüsenkarzinom, Merkelzellkarzinom, Zervixkarzinom und Lymphome in Fallberichten be­schrieben[note]Vgl. Literatur 9[/note]. Experimentell wurde er z. B. bei Mammakarzinomen (Mausmodell)[note]Vgl. Literatur 10[/note] erforscht.

Dadurch, dass wir in unserer Klinik zur Krebstherapie ein integratives Behandlungskonzept verfolgen, gelingt es immer häufiger, einen solchen abscopalen Effekt zu sehen bzw. zu induzieren. Durch eine In­sulin potenzierte, niedrig dosierte Chemotherapie können wir in Kombination mit lokaler oder aber auch systemischer Hyperthermie eine hohe tumordestruktive Wirkung am Tumor erzielen, ohne das Immunsystem zu zerstören. Im Gegenteil, die Therapieform aktiviert das Immunsystem geradezu und lässt sich damit in dieser Phase auch gut stimulieren. Nicht empfehlenswert ist hingegen, nur die Chemotherapie ohne Begleitmaßnahmen mit der in den Leitlinien empfohlenen Menge anzuwenden. Damit lähmt man das Immunsystem oder schädigt es so, dass es nicht mehr richtig arbeiten kann und es deswegen nicht in der Lage ist, eine ausreichende Im­munabwehr aufzubauen. Auch die Strahlentherapie hat diesen nachteiligen Effekt.

 

Literatur

  1. R. H. Mole: Whole Body Irradiation – Radiobiology or Medicine? In: The British Journal of Radiology. Band 26, Nr. 305, 1. Mai 1953, S. 234-241, doi:10.1259/0007-1285-26-305-234.
  2. G. Daniel Grass, Niveditha Krishna, Sungjune Kim: The immune mechanisms of abscopal effect in ra­diation therapy. In: Current Problems in Cancer. Band 40, Nr. 1, 1. Februar 2016, S. 10-24, doi:10.1016/j.currproblcancer.2015.10.003, PMID 26612692.
  3. Kevin Camphausen, Marsha A. Moses, Cynthia Mänard, Mary Sproull, Wolf-Dietrich Beecken: Radia­tion abscopal antitumor effect is mediated through p53. In: Cancer Research. Band 63, Nr. 8, 15. April 2003, S. 1990-1993, PMID 12702593.
  4. C. Thallinger, G. Prager, H. Ringl, C. Zielinski: [Abscopal effect in the treatment of malignant mela­noma]. In: Der Hautarzt; Zeitschrift Für Dermatologie, Venerologie, und verwandte Gebiete. Band 66, Nr. 7, 1. Juli 2015, S. 545-548, doi:10.1007/s00105-014-3567-8, PMID 25576145.
  5. Michael A. Postow, Margaret K. Callahan, Christopher A. Barker, Yoshiya Yamada, Jianda Yuan: Im­munologic correlates of the abscopal effect in a patient with melanoma. In: The New England Jour­nal of Medicine. Band 366, Nr. 10, 8. März 2012, S. 925-931, doi:10.1056/NEJMoa1112824, PMID 22397654, PMC 3345206 (freier Volltext).
  6. Emily F. Stamell, Jedd D. Wolchok, Sacha Gnjatic, Nancy Y. Lee, Isaac Brownell: The abscopal effect as­sociated with a systemic anti-melanoma immune response. In: International Journal of Radiation On­cology, Biology, Physics. Band 85, Nr. 2, 1. Februar 2013, S. 293-295, doi:10.1016/j.ijrobp.2012.03.017, PMID 22560555, PMC 3415596 (freier Volltext).
  7. R. J. Bramhall, K. Mahady, A. H. S. Peach: Spontaneous regression of metastatic melanoma – clinical evidence of the abscopal effect. In: European Journal of Surgical Oncology: The Journal of the Euro­pean Society of Surgical Oncology and the British Association of Surgical Oncology. Band 40, Nr. 1, 2014, S. 34-41, doi:10.1016/j.ejso.2013.09.026, PMID 24139999.
  8. Saba R, Saleem N, Peace D.: Long-term survival consequent on the abscopal effect in a patient with multiple myeloma. In: BMJ Case Reports. 2016.
  9. Yazan Abuodeh, Puja Venkat, Sungjune Kim: Systematic review of case reports on the abscopal ef­fect. In: Current Problems in Cancer. Band 40, Nr. 1, S. 25-37, doi:10.1016/j.currproblcancer.2015.10.001.
  10. M. Zahidunnabi Dewan, Ashley E. Galloway, Noriko Kawashima, J. Keith Dewyngaert, James S. Babb: Fractionated but not single-dose radiotherapy induces an immune-mediated abscopal effect when combined with anti-CTLA-4 antibody. In: Clinical Cancer Research. Band 15, Nr. 17, 1. September 2009, S. 5379-5388, doi:10.1158/1078-0432.CCR-09-0265, PMID 19706802, PMC 2746048 (freier Volltext).